PRESSE

STAVI - das Presse-Portrait

Feuilleton Text über die Künstlerin

Headline
Gelungene Integration durch Poesiealben. Griechin zweiter
Generation gründet Initiative „Poesieromantik“

Sub
Stavroula Papalitsa (55), Künstlername „Stavi“, Initiatorin
und Unternehmerin ist ein gutes Beispiel für gelebte Integration von
Gastarbeiterkindern in Deutschland. Nach ihrer bewegten Kindheit zwischen NRW
und Griechenland, zog es die junge Frau nach ihrem Design-Studium in Florenz
nach Berlin. In der Hauptstadt verwirklichte sie den Traum der Eltern nach
einer besseren Zukunft für sich selbst. Ohne ihre ganz persönlichen Kindheitserfahrungen
– Lesepaten und Poesiealben – wäre es wohl anders gekommen.

Text
„Sprache ist Heimat. Sprache lernt man durch
Lesen, das ist die Basis. Meiner Ansicht nach, sollten generell ausländischen
Eltern genauso lesen lernen wie ihre Kinder. Basis all dessen, was ich kann und
tue, ist lesen. Du musst die Wörter geschrieben sehen. Wir sprechen sonst nur
nach Gehör.“, erläutert Stavi.
Warum sind Sprache und Lesen so
wichtig für Stavi und was hat das mit Poesieromantik zu tun?
Die ersten Erfahrungen mit geschriebenen und gesprochenen deutschen Wörtern hatte die damals
kleine Stavi in der Grundschule. Sie wurde ohne jegliche Kenntnis der fremden
Sprache eingeschult. Ihre Eltern sprachen nur gebrochen Deutsch. Zuhause konnte
Stavi die neue Sprache nicht praktizieren. Zum Glück hatte sie ihre Lesepaten,
ihre deutschen Ziehgroßeltern.
Ihre Eltern kamen im
Rahmen des Anwerbeabkommens im Jahr 1960 nach Deutschland. Stavi wurde kurz
nach der Geburt in Deutschland, 1968, zurück zu den Großeltern nach
Griechenland gebracht und wuchs dort auf. Bei fast 90 Prozent aller Kinder der
damaligen Gastarbeiter war dies absolut üblich. Im Alter von sechs Jahren
holten Ihre Eltern sie zur Einschulung nach Deutschland zurück. Stavi lebte mit
ihrer Familie auf dem Bauernhof von Maria und Jakob Schmitz, in Witterschlick,
Nahe Bonn. Maria und Jakob wurden so zu den Ziehgroßeltern von Stavi.
„Unser Bauernhof war
voll mit allem was damals in Deutschland und besonders in NRW kulturell „IN“
war: Heintje Musik, Lichtergirlanden im Hof, Karneval, der Keller voll mit
eingewecktem Obst und Gemüse, Gartenzwerge mit Springbrunnen im Garten,
Wallfahrten nach Kevelaer, Krippe mit echtem Moos im Wohnzimmer. Und dann gab
es Oma Marias Wand der Weisheiten fürs Leben mit Spruchtäfelchen aus Holz oder
Metall im Innenhof. Und irgendwo lag stets die Bibel herum“, erinnert sich
Stavi.
Die kleine Stavi las
besonders die Weisheiten immer und immer wieder. Opa Jakob korrigierte sie und
half beim Wiederholen. Dazu hatte die Oma noch kleine Bildchen aus Papier mit
Kindern und Engeln darauf. Auf der Rückseite standen Worte in einer
schwungvollen Schrift und irgendwie reimten diese sich und lasen sich so leicht
und kurz, das es Freude machte. Von den Bildchen gab es noch mehr. Um an diese
zu kommen, musste Stavi mit Oma Schmitz in die Kirche zur Sonntagsmesse gehen und
andere bitten, ihr Bildchen abzugeben oder zu tauschen. Das Sammeln von
Gebetsbildchen hatte begonnen. Die kirchlichen Andachtssprüche waren ein
weiteres Ankommen in der deutschen Sprache.
Stavi hierzu: “So
lernte ich, dass man im Deutschen mit Worten wunderschöne Gefühle zaubern und
festhalten konnte. 'Ich wünsche dir einen Schutzengel, und sei er noch so
klein, er möge immer bei dir sein´. Ein Klassiker der Redewendungen war 'Morgenstund
hat Gold im Mund'. Den sagte mir selbst meine Mutter täglich ermahnend - nur
eben in griechischer Formulierung. Bei „Ein blindes Huhn findet auch mal
ein Korn“, sah ich es wie ein Filmchen in meinem Geiste ablaufen. Alle Sprüche
brannten sich so in meine geistige Erinnerungskarte. Die Gebetsbildchen
entfachten irgendetwas spirituelles in mir. Das kannte ich schon von daheim.
Später kamen dann die Glanzbilder hinzu. Für mich emotional sehr ähnlich.“
Stavi hatte schon
seit ihrer Kindheit ein Auge für die schönen Dinge des Lebens. Künstlerin sein,
Poetin sein, sagt sie, liegt in Ihrer DNA. Ihre griechische
Mutter Stella sang den ganzen Tag griechische Lieder - laut und in
Wiederholungschleifen. Lieder aus der Heimat waren eine Fülle an Poesie, Liebe,
Schmerz, Sehnsucht und Freude. Das Tonband lief heiß, besonders
Samstags - dem „deutschen“ Putztag. Diese Putzkultur hatte Mama Stella schnell
von den Deutschen übernommen. „Zum Geburtstag schrieb mir meine Mama kleine
Liebesreime in griechischer Schönschrift. Wir atmeten Poesie, Romantik und
Lebenslust zu Hause“, erinnert sie sich weiter.

Während Stavi in die
Schule ging und Deutsch lernte, standen ihre Eltern in den Servais Werken in
Witterschlick am Fließband und fertigten Wand und Bodenfliesen. Die Eltern
hatten aber nicht nur einen Job, sondern gleich drei. Der Fleiß der Eltern war prägend
für Stavi. Nach dem Studium wurde sie Unternehmerin. Zusätzlich wurde sie
Ausbilderin der IHK für Einzelhandelskaufleute, um das Erlernte weitergeben zu
können. Als Coach schöpft sie aus sehr vielen grenzüberschreitenden
Erfahrungen, bedingt durch ihre eigene Geschichte, als auch durch Ihre
Klienten. „Ich bin selber ein Weltenwandler, entsprechend treffen Menschen aus
verschiedensten Lebenswelten und gesellschaftlichen Ebenen mit mir zusammen“.
Als Mentorin für Kinder und junge Menschen, arbeitet sie am Bewusstsein das
Lesen elementar ist und das Integration gewollt werden muss. Sie spornt dazu
an, Bücher zu lesen, hilft bei der Auswahl und verschenkt diese an Kinder und
Jugendliche.
Wie entstand die Initiative „Poesieromantik“?
„Mein Poesiealbum war
mir heilig. Mit pochendem Herzen habe ich es stets zurückerwartet. Welches
Glanzbild, welchen Spruch hatte mir Renate oder Martina hineingeschrieben? „Das
ist der Kern meiner Initiative ‚Poesieromantik‘: Ein Sammelbuch der schönen Gefühle
zu erschaffen. Das wollte ich immer schon anfertigen.“
Zusätzlich hat diese
Idee einen weiteren Auslöser und eine tiefere Bedeutung. 2016 erhielt ich die
Diagnose eines Karzinoms im Gesicht. Krebs unheilbar. Die Ärzte gaben mir
maximal ein Jahr. Die Konfrontation mit meinem eigenen Tod hatte ich durch eine
Krankheit bereits mit Mitte zwanzig gelebt. Krebs hingegen ist wie eine
Deadline, ein fester Todestermin, den Dir ein Mensch in weißer Uniform setzt.
Dieser Schock nebst dem Schwinden der äußerlichen Schönheit in frühem Alter und
der Endgültigkeit des Lebens, beschäftigten mich einige Jahre.“

Als 2020 die
Corona-Pandemie ausbrach, sah Stavi in sozialen Medien, dass ihre Generation
sich gegenseitig Erinnerungen aus der Jugend postete, um hieraus Kraft und
Energie zu schöpfen. Dabei kam ihr der Gedanken an die Generation ohne soziale
Medien und woher sie ihre guten Gefühle holen konnten. „Denn ich wollte ihnen
genau das gleiche Gefühl schenken, das mir geschenkt wurde. Ich erinnerte mich
an die Poesiealben meiner Kindheit und musste an Oma Schmitz denken. Wie hätte
ich sie heute glücklich gemacht?“

"Durch Pandemie,
Ängste und Einsamkeit, vor allem bei den älteren Menschen, sind viele von uns
innerlich kleine Tode gestorben. Diese Wucht an elementaren Veränderungen in
kurzer Zeit, hat uns viel Lebenskraft gekostet und unsere Flügel verklebt. So
wie auch bei mir bei meiner Diagnose. Wir sind als Menschen ein stückweit
versteinert. Dem musste ich etwas entgegensetzen. Und dieses etwas muss poppig,
bunt, opulent und hochemotional sein, um uns aus dieser Starre zu lösen. Ich
sehe die Menschen wie Engel mit großen Flügeln, die man weit aufschlagen muss,
damit wir fliegen und uns lebendig fühlen können“, so Stavi.
Der Poesiealbumkalender
Poesiealben sind Zeugen einer vergangenen Zeit; meist
verwoben mit schönen Gefühlen und wertvollen Erinnerungen, die wie Schätze
gehütet werden. Mit der Initiative „Poesieromantik" bringt Stavi diese in
ein neues, noch nie da gewesenes Format - einen Kalender. „Mir war sofort klar,
es darf kein Buch sein. Es muss etwas sein, was sich die Menschen jeden Tag
ansehen können. Und das ist ein Kalender. Dieser Kalender ist auch ein
Dankeschön an meine deutschen Ziehgroßeltern Maria und Jakob. Sie waren meine
ersten Lesepaten, ohne dass sie sich dessen bewusst waren.“
 
Die Kunst im Blut
„Ich nehme es als deutsch-griechische Symbiose wahr. Poesie,
poetische Worte sind eine Säule der griechischen Sprache. Griechen sprechen in
Metaphern mit blumigen Worten, sie malen ganze Geschichten in deinen Kopf mit
Worten. Aus griechischen Liedern trieft die Poesie heraus. Meine Mutter schrieb
mir kleine Reime, meist Vierzeiler, zu jedem Geburtstag auf ein Stück Papier. Sie
war Künstlerin und wusste es nicht. Sie schrieb noch im alten Schreibstil:
Geschwungen, rund verziert - genauso wie die Schrifttypen der Poesiesprüche bei
meiner deutschen Ziehoma Maria. Griechische Schönschreibkunst ist der deutschen
Schönschrift sehr ähnlich.“

Die Künstlerin Stavi hat sich bei der Entstehung und des Designs der Initiative
‚Poesieromantik‘ von ihren griechisch-rheinländischen Wurzeln inspirieren
lassen. Hierzu gehören viel Leidenschaft nebst verträumter Melancholie fürs
Leben.

„In der Essenz sehe
immer das bunte, farbenprächtige neben dem Schwarz der Trauer, der Angst. Unser
Leben ist beides: Leben und Sterben. Diesen Kontrast zeige ich in meiner
Fotoserie: Schwarz trifft auf bunte Farben und Neonschrift. Die schwarze
Kleidung steht für Tod, das kämpferische, aber auch für traditionell
griechische Trachtenfarben. Nebst griechischen Elementen, die auch in
Glanzbildern auftauchen wie Instrumente, Säulen oder Engel. Sie sind der
Gegenpol. Das volle Leben in seiner Pracht mit Blumen, verträumt romantischen
Motiven und poppigen Farben. Obwohl mein Gesicht sich entstellt hat, habe ich
mich dafür entschieden, mich selbst als Glanzbild in Szene zu setzen. Das ist
meine Lebenslust und zeugt von meiner JA-Einstellung zum Leben. Poesieromantik
ist heilsam.“

Poesieromantik
verbindet Generationen. „Ich sehe meinen Kalender im Kinderzimmer hängen und
Eltern oder Großeltern lesen vor. Andersherum hängt der Kalender in der Küche
der Großeltern und die Enkel können gemeinsam mit ihnen das Lesen lernen.“

"Durch eine
Todeserfahrung oder eine unheilbare Krankheit kannst Du emotional leiden, dich
aufgeben in ständiger Trauer, bis zu stirbst, oder du nimmst alle Energie, Wut,
Schmerz, Verzweiflung und Angst und machst etwas Neues daraus. Jetzt schöpfe ich
aus dem Vollen, was in mir steckt und leben will. Ich wünsche mir, dass ich
anderen in ihrem Schmerz Mut machen kann auf das Schöne und bunte Leben, das
sie noch haben. Und wenn das nicht gelingt, dann zumindest ein Lächeln ins
Gesicht zaubern, das wär doch was wert“ so Stavi abschließend.
  
Weitere Informationen:
Die Sprüche, Gedichte
und Glanzbilder können unter anderem Menschen mit Demenz und Alzheimer
emotional erreichen und ihnen ein Stück Erinnerung zurückgeben. Im Internet
findet man hierzu reichlich Literaturnachweise. Es gibt sogar eine eigene
Therapieform dafür, die aus den USA kommt und nachweislich wirksam ist.